Viele St?dte, Branchenverb?nde und Unternehmen haben sich für die kommenden Jahre strenge Standards für die Kohlenstoffneutralit?t ihrer Betriebe gesetzt.

Als Architecture 2030 jedoch einen genauen Blick auf die Daten warf, erkannte man, dass der verk?rperte Kohlenstoff - die Energie und die Emissionen aus Materialien und Konstruktion - eine bedeutende und weitgehend ignorierte Lücke in der Branche darstellt.

Weltweit sind 30 % der Treibhausgasemissionen auf die Betriebsenergie im Geb?udesektor zurückzuführen, weitere 20 % entfallen auf Materialien und Materialherstellung. Insgesamt verursacht die Baubranche 50 % der weltweiten Treibhausgasemissionen. Wenn wir bis 2050 das Ziel von Null-Kohlenstoff-Emissionen erreichen wollen, müssen wir den verk?rperten Kohlenstoff ernster nehmen.

Da die Struktur eines Geb?udes 50 % des gebundenen Kohlenstoffs ausmacht, sind Bauingenieure wichtige Akteure im Kampf um die Kohlenstoffneutralit?t. Die Structural Engineers 2050 Challenge (SE 2050) des Carbon Leadership Forum inspiriert Ingenieure dazu, auf Benchmarks für den embodied carbon hinzuarbeiten und gleichzeitig wichtige Daten auf diesem Weg beizusteuern.

Lauren Wingo, leitende Bauingenieurin bei Arup, und Frances Yang, Mitarbeiterin im Bereich Nachhaltigkeit, sind Teil der SE 2050-Arbeitsgruppe, die eine Initiative zur Unterstützung von Bauingenieuren bei der Bew?ltigung dieser Herausforderung entwickelt und leitet. Wir sprachen mit Lauren und Frances über die Fallstricke und Fortschritte auf dem Weg zur Embodied-Carbon-Neutralit?t - und darüber, wie Bauingenieure dazu beitragen k?nnen, diesen branchenweiten Wandel zu erreichen.

Wie würden Sie die bisherige Reaktion der Bauindustrie auf die Kohlenstoffneutralit?tsziele charakterisieren?

Frances Yang: Der Weltklimarat und andere Organisationen haben in ihren Berichten auf die Dringlichkeit und die Auswirkungen des Erreichens bestimmter Kohlendioxidmengen in der Atmosph?re hingewiesen. Und mit besseren Prognosen über die Emissionsquellen sehen wir sektorspezifische Reduktionsanforderungen an den Meilensteinen bis 2050.

Das hat das Bewusstsein im Bausektor und bei unseren Kunden gesch?rft. Die Bauindustrie ist motiviert, Kohlenstoff als eine wirklich wichtige Messgr??e zu betrachten und nicht nur die betrieblichen Kohlenstoffemissionen zu reduzieren, sondern auch den in unseren Bau- und Infrastrukturmaterialien enthaltenen Kohlenstoff.

Lauren Wingo: Jetzt, da unsere Geb?ude dank besserer mechanischer und elektrischer Konstruktion immer effizienter werden, verlagert sich der Schwerpunkt auf den gebundenen Kohlenstoff, bei dem Bauingenieure eine gr??ere Rolle spielen.

Um den gebundenen Kohlenstoff zu reduzieren, besteht der wichtigste Schritt für Bauingenieure darin, die richtigen Materialien mit Bedacht auszuw?hlen und sie so effizient wie m?glich einzusetzen. Frances hat sich zum Beispiel intensiv mit der Frage besch?ftigt, wie wir leistungsf?higeren Beton verwenden k?nnen, der die Umwelt weniger belastet. Bauingenieure müssen sich Gedanken über die Materialien machen, die sie einsetzen, und sich der Umweltauswirkungen der verschiedenen Materialtypen bewusst sein.

Und schlie?lich müssen wir Daten über den verk?rperten Kohlenstoff in unseren eigenen Projekten sammeln, diese Daten tats?chlich auswerten und über Messgr??en verfügen, an denen wir unsere Leistung messen k?nnen.

Was sind für Sie die gr??ten Herausforderungen bei dem Versuch, den gebundenen Kohlenstoff in Projekten zu reduzieren?

Frances: Wie Lauren gerade sagte, gibt es derzeit nicht viele Daten. Gut ausgestattete Organisationen wie das Energieministerium haben mit einer jahrelangen Sammlung von Betriebsenergiedaten geholfen. Für den in Geb?uden verk?rperten Kohlenstoff haben wir nichts Vergleichbares. Es gibt einen gro?en Unterschied in der Methodik, und es ist schwer zu messen. Es gibt keinen Z?hler am Geb?ude für den verk?rperten Kohlenstoff, so dass es keine zuverl?ssigen Zahlen gibt, um die Leistung zu vergleichen.

Zurzeit gibt es verschiedene Bemühungen, diese Messung zu standardisieren und Daten so zu erfassen, dass sie aussagekr?ftig und vergleichbar sind. Aber wir befinden uns noch in einem frühen Stadium, und ich glaube nicht, dass wir auf diese Standardisierung warten k?nnen. Wir müssen jetzt damit beginnen, Daten zu erfassen und das Bewusstsein dafür zu sch?rfen. Wir wissen bereits, wie energieintensiv die Herstellung von Stahl und Zement ist, und wir wissen, dass die Wiederverwendung von Geb?uden und die Wiederverwertung von Materialien enorme Vorteile mit sich bringt. Es gibt Dinge, die Bauingenieure jetzt tun k?nnten.

Allerdings ist die Bauindustrie gegenüber Ver?nderungen abgeneigt. Man scheut das Risiko, Altmaterialien zu verwenden, wenn etwas schon ein früheres Leben hatte oder wenn man die genauen Materialeigenschaften nicht kennt, es sei denn, man testet jedes einzelne Stück. Das wird schnell unerschwinglich, und es ist nicht die Art und Weise, wie ein Eigentümer oder Bauunternehmer Dinge zu tun gewohnt ist.

Lauren: Es ist auch von Region zu Region sehr unterschiedlich, welche Technologie auf dem lokalen Markt eingesetzt wird. In einigen M?rkten gibt es m?glicherweise keine Optionen mit niedrigem gebundenem Kohlenstoffgehalt. Wie schnell diese Technologien angenommen werden, h?ngt auch von den Marktanreizen ab. Derzeit gibt es kein Zertifizierungsprogramm wie ENERGY STAR für den Energiegehalt von Geb?uden, und wenn die lokalen Beh?rden Vorschriften für umweltfreundliches Bauen erlassen, konzentrieren sie sich immer noch auf die Betriebseffizienz. Ohne die entsprechenden Anreize sind die Menschen nicht bereit, in die Reduzierung des gebundenen Kohlenstoffs zu investieren.

Bauingenieure müssen sich Gedanken über die Materialien machen, die sie einsetzen, und sich der Auswirkungen auf die Umwelt bewusst sein.

Lauren Wingo

Leitender Hochbauingenieur, Arup

Was muss Ihrer Meinung nach geschehen, bevor wir einen branchenweiten Wandel erleben?

Frances: Es gibt ein Henne-Ei-Ding, das zwischen Eigentümern, politischen Entscheidungstr?gern und Investoren stattfindet. Die politischen Entscheidungstr?ger wollen ein Projekt oder einen Erfolg vorweisen k?nnen, der ihnen sagt: "Hey, wenn wir diese Politik machen, ist sie machbar, sie wird funktionieren, es gibt einen Nutzen." Die Eigentümer sind sehr z?gerlich, wenn sie keinen finanziellen Anreiz haben, w?hrend die Finanziers nichts finanzieren werden, wenn nicht die Politik oder die Programme vorhanden sind, die ihnen helfen, eine Rendite aus der Investition zu sehen.

Beide Seiten warten quasi auf die jeweils andere. Deshalb ist es wirklich notwendig, auch nur schrittweise voranzukommen. Wenn eine Gruppe anf?ngt, auch nur ein wenig voranzukommen, werden die anderen Einheiten reagieren. Aber wir müssen dies an hundert verschiedenen Fronten tun.

Eine Fallstudie ist der Marin County Low Carbon Concrete Code, bei dem der Bay Area Air Quality Management District einen Zuschuss für den Bezirk Marin County finanzierte, um eine ?nderung der Bauvorschriften zu testen, die die Kohlenstoffemissionen von Beton begrenzt. Es wurde festgestellt, dass die Zementhersteller in der Bay Area so viele Treibhausgasemissionen aussto?en wie der gesamte Busverkehr in der Region. Da die Luftaufsichtsbeh?rde bei der Zusammenarbeit mit den Zementherstellern zur Senkung der Emissionen technologisch an ihre Grenzen gesto?en war, half Arup dem Bezirk Marin und den Partnerbezirken bei der Entwicklung einer Vorschrift für umweltfreundliches Bauen, die eine Obergrenze für die Verwendung von Zement bei Projekten festlegt und so die Nachfrage nach Zement und die regionalen Emissionen der Werke insgesamt verringert.

Es bleibt zu hoffen, dass sich Ideen wie diese verbreiten k?nnen. Wir beobachten, dass St?dte wie Los Angeles, Portland, New York und Boston daran interessiert sind, etwas ?hnliches zu tun. Mit der Zeit k?nnten sich Initiativen wie diese landesweit ausbreiten, dann sogar landesweit.

Lauren: Die Sensibilisierung und Aufkl?rung der ?ffentlichkeit über den verk?rperten Kohlenstoff wird dazu beitragen, die Industrie zu einem Wandel in gr??erem Ma?stab zu motivieren. Ich hoffe, dass das Programm SE 2050 genau das erreichen wird. Es ist notwendig, dass Bauingenieure diese Verantwortung übernehmen, auch wenn es keine offensichtlichen finanziellen oder gesetzlichen Anreize gibt. Und wir sind froh und bereit, diese Aufgabe im Einklang mit den Werten unseres Unternehmens und denen unserer Kunden zu übernehmen. Es ist an der Zeit, dass unser Berufsstand handelt und die Führung in einem Prozess übernimmt, der viel zu langsam voranschreitet.